
Meine Augen tun weh. Ich fühle mich, wie in mitten einem Meer aus Watte. Aber die Watte drückt meinen Kopf zusammen. Hier beginnt mein Zeitfenster von etwa 30 Minuten. 30 Minuten um nach Hause zu kommen. Mein Lager aufzubauen. Bettzeug, Medikamente, Wasser, Eimer, Snacks, Kissen, noch mehr Kissen, Schlafmaske, Taschentücher, Ladekabel. Ich bin schon routiniert.
Ich weiß nicht mehr wann es angefangen hat. Diese Schmerzanfälle. So nannte ich sie irgendwann. Nachdem mein 30-Minuten Zeitfenster verstrichen war, konnte ich nur noch in einer Position sitzen. Möglichst ruhig. Nicht mehr aufstehen, nicht hinlegen, nicht anlehnen. Jegliche Höhenveränderung verschlimmerte den Kopfschmerz und Druck im Kopf ins unermessliche. 6-18 Stunden. So lange dauerte ein Schmerzanfall meistens. Ich hoffte jedes Mal, dass es dieses Mal nicht so schlimm wird, dass ich es schaffe ohne den Arzt anzurufen. Wenn ich diesen anrufen musste- dann musste ich oft noch eine große Box Kraft herbei zaubern.
Der Anruf bei einem Bereitschaftsarzt oder Rettungsdienst lief meistens so ab: Migräne? Kopfschmerzen. Ah ja. Warum rufen sie nicht nochmal beim Bereitschaftsarzt an. Ich versuchte mich zu erklären. Ich bin mehrmals an Kopf und Wirbelsäule operiert. Nein, ich kann nicht aufstehen. Nein, ich kann mich nicht bewegen. Bitte, ich brauche einen Arzt, der mir eine Schmerzinfusion gibt. Ob die hilft? Hm. Bedingt. Aber zumindest dämpft es manchmal. Ich kam mir vor, wie ein Drogensüchtiger, der nach einer Infusion bettelt. Dabei habe ich maximal 1-2 mal im Jahr beim Notarzt angerufen. Und zu diesem Zeitpunkt war es oft schon so grenzwertig schlimm, dass ich es bis heute nicht fassen kann, wie ich behandelt wurde.
Letztes Jahr- ich hatte bereits einige Stunden den Schmerzanfall. Versucht ihn weg zu atmen. Unterdrückte das weinen vor Schmerzen, weil die Verspannung und Aufregung alles verschlimmerte. Aber es ging nicht mehr. Mein Kopf der platze, der Druck kaum zu beschreiben. Wie kann das sein. Was kann das sein. Anruf beim Notdienst. Nach 15 Minuten Diskussion, warum ich keinen Bereitschaftsarzt rufe (das dauert oft 4 Stunden bis er kommt), dass man mir nur die Rettungsdienstler schicken möchte (die können keine Infusionen geben, ohne dass sie mich mitnehmen), die Erklärungen, dass ich nicht sofort aufstehen kann. Zumindest schickte er mir dann die Rettungsdienstler vorbei. Es klingelte. Ich versuchte möglichst schnell zur Tür zu kommen, weil ich wusste, gleich breche ich wieder zusammen, wegen der Höhenveränderung. An der Wohnungstüre sammelten sie mich auf und ich schaffte es wieder auf die Couch. In meiner Position.
Ich erklärte mich, zeigte auf meinen gut sortierten Ordner mit den Arztbriefen, oben drauf eine Zusammenfassung. Zeigte ihnen die Notfall-App in meinem Handy mit meiner Medikation. Ich hatte zu dem Zeitpunkt des Anfalls schon solche Sehstörungen, dass ich die Handgriffe blind machte. Wie immer.
Die Antwort der Rettungsdienstler: Wir dürfen Ihnen keine Infusion geben, ohne dass wir sie mitnehmen. Oh Überraschung. Wer hätte das gedacht. Weitere 10 Minuten Diskussion, ob sie bitte einen Notarzt anrufen. Sie ließen sich nicht darauf ein und riefen einen Bereitschaftsarzt an. Der kam wider Erwartens auch innerhalb von 10 Minuten. Ohne dass er mit mir selbst gesprochen hat, hörte ich ihn in der Tür stehend sagen "Die bekommt nichts von mir." Ich weinte. Weinte vor Schmerzen, vor Verzweiflung. Warum hilft mir keiner.
Dann riefen die Rettungsdienstler den Notarzt. Dieser kam zum Glück auch sehr schnell. Dieser war zum Glück sehr freundlich und es ging diesmal ohne weitere Diskussion. Ich bekam eine starke Schmerzinfusion. Währenddessen standen mittlerweile 7 Personen in meinem Wohnzimmer. Aber das sah ich alles schon gar nicht mehr, durch die Sehstörungen knief ich die Augen zu, die Schmerzen hüllten mich in Watte. Da hörte ich, dass der Bereitschaftsarzt noch da war und plötzlich zu mir sprach: "Wen haben Sie denn da alles angerufen. Wissen Sie eigentlich was das kostet."
Heute weiß ich: Diese Schmerzanfälle waren keine Migräne. Sie waren ein erhöhter Hirndruck. So etwas kann eine tickende Zeitbombe sein. Mein Bauchgefühl. Es hatte Recht. Nur konnte ich 25 Jahre niemanden finden, der auf mein Bauchgefühl hörte und mir helfen konnte. Bis dieses Jahr. Ein Arzt der sich der Komplexität meiner Erkrankungen annahm. Ich kenne ihn mittlerweile 4 Jahre und bin einfach nur dankbar. Nun habe ich einen VP-Shunt. Ob er mir hilft? Ob es die Anfälle fern hält? Ich kann nur abwarten. Aber ich bin dankbar. Ich bin nicht verrückt.
Als ich deinen Beitrag angefangen habe zu lesen, musste ich sofort an das Medikament denken, das mir geholfen hat. Du hast erst am Schluss geschrieben, dass du zu hohen Hirndruck hast. Aber deine Symptome waren mir sofort sehr bekannt. Es ist bei mir zum Glück nicht so extrem wie bei dir, aber ansonsten identisch. Ich nehme nun abends Acemit, damit ich im Liegen schlafen kann. Es senkt meinen Hirndruck und ich kann länger liegen und muss nicht mehr so oft das Kopfteil des Bettes hochfahren.
Vielen Dank, dass du so offen bist. Ich wünsche dir ganz viel Kraft, damit du weiterhin kämpfen kannst.