
Die Glückshummeln haben mich wieder heimgebracht.
Eine schöne Insel, eine gebrochene Nase,
und plötzlich liegt man im Koma.
Für diesen Blog-Eintrag fehlen selbst mir noch die richtigen Worte.
Ich bin nach sehr langer Zeit mal wieder in den Urlaub geflogen. Madeira sollte es werden. Inseln – oh, die mag ich, das weiß mittlerweile jeder, der mich auch nur ein bisschen kennt. Wenn die Insel dann noch Berge hat, würde ich am liebsten direkt dort auswandern. Der Flieger ist auf Madeira gelandet, und ich habe geweint. Die Sitznachbarin fragte mich, ob alles in Ordnung sei, und ich sagte:
„Oh ja – und wie!“ Ich war glücklich.
Am Abend des zweiten Tages war es bereits dunkel, und unglücklicherweise bin ich mit dem Kopf gegen eine geschlossene Glastür gelaufen – das Ergebnis: eine gebrochene Nase.
Okay – das ist Mist. Julia-Chaos halt, aber eigentlich noch kein Weltuntergang.
Um sicherzugehen, dass mit meinem VP-Shunt-System alles in Ordnung ist, bin ich in eine Bereitschaftspraxis gefahren. Diese hat mich direkt in die Notaufnahme weiter überwiesen.
Aufgrund eines Feiertags-Wochenendes kam ich dort aber auch nicht wirklich dran und bin zwischen privater und staatlicher Klinik hin- und hergefahren. Beide sagten mir, ich solle Montag wiederkommen (der Unfall war am Donnerstag). Ich erklärte meine Diagnosen, aber sie sagten nur, sie könnten sich nicht vorstellen, dass das ein Problem sei.
Einen Tag später war mir unwohl, und in der Unterkunft fing meine rechte Gesichtshälfte immer mehr an, sich zu verselbstständigen und zu zucken. So bin ich wieder in die Notaufnahme gefahren. Dort haben sie mich dann den ganzen Tag sitzen lassen. Ich musste mit meiner Versicherung diskutieren (obwohl eine Bestätigung der Kostenübernahme da war). Meine letzten Erinnerungen an dem Tag sind, dass ich gegen Abend plötzlich doch hereingeholt wurde und man mir sagte, ich werde stationär aufgenommen. Dann hören meine Erinnerungen auf.
Die Erinnerungen hören auf, weil ich wohl dort in der Notaufnahme schon mehrere Anfälle hatte. In dem Moment, als sie mich hereingeholt haben, haben sie mich kurz darauf ins künstliche Koma versetzt, weil sie nicht wussten, was los ist und was ich habe. Nachdem ich mich dann auch bei niemandem mehr gemeldet habe, versuchten alle erst mal herauszufinden, wo ich war.
Samstag, 2.11.: 1. Tag künstliches Koma. Die Privatklinik war weiterhin ratlos und sie haben mir viel zu viele und falsche Medikamente gegeben. Erst am Montag, den 4.11. ordneten sie ein MRT an. Da die Privatklinik jedochkein MRT hatte, wurde ich in die staatliche Klinik verlegt. Die staatliche Klinik wusste aber auch danach nicht weiter. Das Koma wurde beibehalten und die vielen Medikamente auch. Ich bekam Epilepsie-Medikamente, obwohl ich keine Epilepsie hatte. Das hätte man im EEG ausschließen können. In den ersten Arztbriefen stand, dass kein MRT gemacht werden konnte, weil ich intubiert, sediert im künstlichen Koma war.
Ich war wie immer gut vorbereitet auf meinen Reisen; hatte alle wichtigen Diagnosen und Arztbriefe übersetzt dabei. Diese hatte ich ausgedruckt in der Notaufnahme abgegeben, in meinem Notfallpass auf dem Handy, in meinen Unterlagen vom Portemonnaie, und ich hatte in Armband an, welches mit „Health Info“ betitelt ist. Hinter einem QR-Code auf dem Armband liegen die wichtigsten Informationen, sogar ein MRT-Bild. Aber sie haben es leider nicht beachtet. Stattdessen haben sie mich mit weiteren sehr starken Medikamenten behandelt, und das Koma wurde immer weiter aufrechterhalten und dauerte länger und länger. Nun organisierten meine Eltern zusammen mit meinem Arzt aus Heidelberg einen Rücktransport nach Deutschland. Der Flieger stand gleich bereit, aber auch die Bürokratie dauerte noch weitere Tage.
Erst am 11.11. abends bin ich dann in Deutschland gelandet. Es standen alle bereit und wollten mich so schnell wie möglich aus dem künstlichen Koma erwachen. Nur das war dann nicht mehr so einfach möglich. Ich reagierte nicht mehr, ich wachte nicht mehr auf aus dem Koma. Jetzt zu diesem Zeitpunkt war ich selbst in einen komatösen Zustand übergegangen und es wurde lebensgefährlich. Die Ärzte haben weitere Konsultationen mit anderen Ärzten eingeholt, die mich schon ein paar Jahre betreuen, und entschieden, dass mein Körper das jetzt alleine schaffen muss. Ich habe viel zu viele Medikamente in Portugal bekommen, und das zu lange Koma war auch nicht gut. Nun wurde ich jeglicher Medikation entzogen.
Freitag, der 15.11.: Mein Onkel kam zu Besuch. Ich erinnere mich daran nicht, ich habe eben das erste mal ein Foto davon gesehen.
Samstag, der 16.11.: Ich habe eine erste Reaktion gezeigt und geblinzelt. Okay- ein Blintzeln in Zeitlupe. Aber eine Reaktion.
Sonntag, der 17.11.: Ich habe das erste Mal gesprochen.
Ich habe die Welt nicht mehr verstanden.
Meine ersten Erinnerungen: Ich war am Bett fixiert, ich verstand nicht, was passiert war und was ich auf einmal in Heidelberg machte. Ich wurde nicht nur vom kalten Entzug der Medikamente aus Madeira entwöhnt, sondern auch von meinen üblichen Medikamenten. Ich war innerlich sehr aufgewühlt und meine Erinnerungen sind lediglich in verstreuten Bruchstücken vorhanden.
An das Koma selbst habe ich keine Erinnerung. Ich bin überzeugt, dass unser Unterbewusstsein mehr aufnimmt, als uns bewusst ist. Seitdem fühle ich eine starke innere Unruhe, sobald es Zeit ist, schlafen zu gehen.
Ich möchte mit diesem Beitrag nicht nur das Geschehene verarbeiten, sondern so vielen Menschen danken, die für mich gekämpft haben, als ich es gerade nicht mehr konnte.
Meine Eltern haben quer über den Atlantik versucht herauszufinden, wo ich bin und warum ich mich nicht mehr melde. Petra, die Besitzerin der (im Übrigen wahnsinnig schönen) Unterkunft, hat mit ihren Mitarbeitern alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mehr herauszufinden. Miguel ist nach Madeira geflogen und hat vor Ort die Kommunikation übernommen, da die Auskünfte sehr rar waren. Es war so gar nicht selbstverständlich, dass er dorthin geflogen ist. Mein Arzt aus Heidelberg hat mal wieder alles Unmögliche möglich gemacht. Ich wünschte, es gäbe mehr Ärzte wie ihn. Ab dem Zeitpunkt, als ich wieder in Deutschland gelandet bin, waren meine Eltern in Heidelberg bei mir vor Ort. Es gab so viele Freunde für´s Leben und Famlie, die im Hintergrund so viel mit unterstützt hat.
Dann gab es nebenbei noch alle möglichen Detektiv „Ms.-Marple“-Aufträge:
Mein Auto stand am Flughafen in München. Mein Bruder und Papa mussten erst mal herausfinden, wo. Aber haben es rechtzeitig aus dem Parkhaus geholt und zu mir nach Hause gefahren.
Während ich im Koma war, musste beim Amtsgericht ein Betreuer festgelegt werden, weil ich noch niemanden für so einen Notfall eingesetzt hatte. Es musste jemand für mich entscheiden, als ich es nicht mehr konnte. Ich hatte keine Betreuungsvollmacht. Aber ich hatte ja trotzdem Recht. Das ist das einzige Puzzleteil, bei dem ich noch nicht komplett vorbereitet war. Aber auch wenn ich schon so viele wirklich verrückte Geschichten erlebt habe – an so etwas hätte auch ich nicht gedacht.
Wieviel innerhalb von ein paar Tagen alles schieflaufen kann. Nun frage ich mich natürlich schon: Was ist eigentlich passiert? Ich denke, das kann man kaum noch nachvollziehen. Es gibt Vermutungen. Zum Beispiel könnte ich durch den Nasenbruch eine Infektion in mein Shunt-System bekommen haben. Da auch tagelang kein CT/MRT gemacht wurde, hat man das vielleicht nicht entdeckt. Ich hatte zumindest hohe Infektionswerte direkt an den ersten Tagen.
Dann habe ich aufgrund der Traumata der letzten Jahre ein PTBS (Posttraumatisches Belastungssyndrom). Ich jabe sehr viele, sehr schlechte Erfahrungen mit medizinischem Personal, Ärzten, Rettungskräften, Pflegen machen müssen. Ich wurde so viele Jahre immer wieder nicht richtig behandelt. Nicht ausreichend mit Schmerzmitteln behandelt, wenn es nötig gewesen wäre. Mir wurde oft nicht geglaubt. Ich bin sehr dankbar, dass ich trotzdem immer wieder die Stärke hatte aufzustehen, weiter zu kämpfen. Für mich zu kämpfen. Aber das alles ist nicht ohne Spuren an mir vorüber gegangen. Wie sich die PTSB äußert bei mir? Eigentlich zum Glück nicht so, dass es mich großartig einschränkt. Ich reagiere manchmal intensiver, als es der Situation geschuldet ist. Wenn irgendetwas getriggert wird. Wenn ich zum Beispiel das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden, werden unterbewusst meine Erfahrungen "angepingt" und ich fange an zu weinen. Mit der aktuellen Situation hat da vielleicht gar nichts zu tun, aber unterbewusst wird wieder das alte Gefühl hoch geholt.
Oder wenn ich trotz Schmerzen nicht ernst genommen werde. Da kann das Schmerzzentrum im Hirn den Schmerz noch zusätzlich verstärken. Ein Kreislauf.
Vielleicht wurde die PTSB getriggert in der Situation in Madeiera. Ich wurde wieder nicht behandelt, ich wurde weg geschickt. Ich könnte dadurch einen dissoziativen Anfall bekommen haben. Das Erscheinungsbild ist dem von epileptischen Anfällen sehr ähnlich. Ich habe keine Kontrolle über meinen Körper, verkrampfe. Aber spätestens im EEG ist nachweisbar, dass es kein epileptischer Anfall war. Daher sollte man dann auch keinesfalls mit epileptischen Medikamenten behandeln.
Ja, ich habe komplexe Diagnosen. Aber das war nicht der Grund, warum es auf einmal lebensgefährlich wurde. Ein VP-Shunt-System ist eigentlich für jeden Neurochirurgen ein Einmaleins. Es sollte auch standadiertisierte, medizinische Untersuchungen geben, wenn jemand mit dem Kopf gegen eine Glasscheibe läuft: In die Augen leuchten, auf Gehirnerschütterung untersuchen. Das alles ist nicht passiert in diesen Kliniken. Das Gesundheitssystem wackelt. Wackelt ordentlich. Ich war nicht in Deutschland, aber doch in Europa. Ich war so gut vorbereitet. Aber vielleicht nicht ausreichend genug.
Ich war auf so einem guten Weg. Die letzte OP und der VP-Shunt versprechen viel. Es ist sehr frustrierend, jetzt wieder zurückgeworfen zu sein.
Wieder ein paar Schritte weiter hinten anzufangen.
Aber es ist okay.
Ich bin dankbar, dass ich die Kraft hatte auch das zu schaffen, wieder aufzuwachen. Ohne Schädigungen, ohne dass etwas zurück bleibt.
Dann verweile ich hier noch etwas und mache Pause.
Dann nehme ich wieder Anlauf.